Sunday, October 01, 2006
Rolf Dobelli: Und was machen Sie beruflich?
Ein faszinierendes Buch, das ich gerade lese:Rolf Dobelli: "Und was machen Sie beruflich?"Die Geschichte eines zwanghaften Abstiegs. Arbeitslosigkeit - das ist immer auch das Schicksal der anderen. Nur Unfähige und Unwillige ereilt dieses Schicksal; wer tatkräftig auf sich selbst vertraut und nach vorne blickt, wird immer eine befriedigende Tätigkeit finden. Soweit die landläufige Meinung derer, die - noch - einen Job haben. Wie sieht es aber in der Realität aus? Was geschieht, wenn das Schicksal den trifft, der sich dagegen gefeit fühlt? Rolf Dobelli beschreibt am Beispiel eines sogenannten "Überfliegers", wie schnell sich das Leben in einem solchen Falle zur Katastrophe entwickeln kann.Gehrer, erfolgreicher Marketingchef eines international operierenden Softwareunternehmens, erfährt auf einer kurzfristig einberufenen Sitzung nicht von der erhofften Beförderung sondern von seiner Entlassung wegen der üblichen Gründe - Rezession, Sparzwang, kein Zweifel an seiner Qualifikation und so fort. Der mit einer gut verdienenden Anwältin kinderlos verheiratete Vierzigjährige ist wie vor den Kopf geschlagen, schafft es nicht, die Botschaft seiner Frau zu übermitteln, und lungert erst einmal unter Vorspiegelung eines normalen Berufsalltags in der Stadt herum. Nicht die übliche Existenzangst eines allein verdienenden Familienernährers packt ihn - seine Frau verdiente mehr als er - sondern der Schock, dass es ausgerechnet ihn getroffen hat, der sich vor diesem Schicksal immer gefeit fühlte und weit über dem arbeitslosen Bodensatz der Gesellschaft stand. So läuft er in Trance durchs Leben, will den Zustand nicht akzeptieren und sich vor allem nicht als Arbeitsloser fühlen. Erst nach einer als Dienstreise kaschierten Auszeit in der Karibik, die jedoch weder einen Erkenntnisgewinn noch einen Anstoß bringt, bemüht er sich um eine neue Stellung. Bei dem folgenden Spießrutenlaufen hört er all die Fragen aus Bewerbungs- und Gesprächsleitfäden, die auch er zu anderen Zeiten genüsslich in scheinbar positiver Absicht von sich gegeben hat, die aber meist demütigend und nötigend auf die Bewerber wirken. Über zwölf Seiten lang stellt der Autor einen ganzen Katalog dieser mal freundlichen, mal erpresserischen, mal zynischen Fragen auf, die alle nur die Machtposition des potentiellen Arbeitgebers gegenüber dem mühsam die Haltung bewahrenden Kandidaten zum Ausdruck bringen. Nach erfolgloser Runde durch alle Firmen versucht er sich eine Zeitlang erfolglos als Fahrlehrer, um schließlich in einem Anfall von Frustration sämtliche Straßenverkehrsregeln zu brechen und den Führerschein zu verlieren. Als schließlich seine Frau dem auf der Jobsuche Gescheiterten über ihre anwaltlichen Kontakte aussichtsreiche Stellen zuspielt, wirkt dies wie der finale Schock auf ihn, da sie dem allein Ohnmächtigen auf diese Weise unwissentlich den letzten Stolz raubt. In einer letzten Aufwallung von Protest verweigert er alle Angebote und verschanzt sich als Hausmann zu Hause, bis er seiner Frau halb aus Eifersucht, halb aus Verzweiflung in der Öffentlichkeit derartig kompromittiert, dass sie sich von ihm trennt. Am Schluss vegetiert er allein in seinem Bett, das ihm auch nicht mehr lange gehören wird, und verweigert jeden Kontakt zur Außenwelt.Rolf Dobelli hat mit diesem fast novellenartigen Roman einen großen Wurf gelandet. Mit zwingender Logik und Konsequenz schildert er den Abstieg eines Menschen, der sich - unbewusst - stets nur über seine berufliche Position definiert hat und diese wie ein genetisches Erbstück betrachtet hat. Ohne sie ist er an allen Gliedern amputiert und sieht keinen Lebenssinn mehr. Doch diesen Abstieg reflektiert er noch nicht einmal sondern erlebt ihn wie eine sich stetig verschlimmernde Krankheit, über die er keine Kontrolle hat. Das Berufsleben hat ihn abhängig gemacht, und der Verlust des Arbeitsplatzes wirkt wie der plötzliche Entzug für einen Drogensüchtigen. Hilflos sieht er seinem eigenem Untergang zu und ahnt schon früh, dass er auch seine Frau verlieren wird. Ohne falsche Sentimentalität, forcierten Humor oder aufdringliches Psychologisieren, in einem nüchternen, teilweise fast harten Stil exekutiert Rolf Dobelli seinen Helden nach allen Regeln der Kunst. Das Buch ist eine erschreckende Dokumentation der derzeitigen Verhältnisse auf dem Arbeitmarkt und in der Gesellschaft.
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1 comment:
Klingt sehr interessant das Buch!
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